Sie heißen „Speedreader“ oder „Turboleser“: Menschen, die Texte in Rekordzeit lesen und verstehen können. Eine Fähigkeiten, die in vielen Berufen sinnvoll sein kann. Doch funktioniert das Schnell-Lesen wirklich? Und was muss man dafür tun?
München/Wuppertal (dpa/tmn) – Das Arbeitspapier in der Zigarettenpause erfassen oder das Vorlesungsskript des ganzen Semesters auf der Zugfahrt durcharbeiten – schnell lesen zu können, bringt vielen Menschen in Beruf und Ausbildung Vorteile. Wichtig ist: Wer ein richtiger Turboleser werden möchte, muss darauf achten, dass das Textverständnis nicht auf der Strecke bleibt. Und das ist nicht immer einfach.
Peter Rösler, Autor des Buches „Grundlagen des Schnell-Lesens“ hat grundsätzlich eine positive Nachricht: Schnell-Lesen kann man lernen. Das funktioniere aber nicht in zwei Tagen, sondern nur, wenn man sich genügend Zeit von mindestens zwei Wochen zum Erlernen nehme.
Auch Prof. Ralph Radach beschäftigt sich an der Universität Wuppertal schwerpunktmäßig mit dem Thema Leseforschung. Leseprozesse bräuchten Zeit, sagt er, „aber man kann das Lesen tatsächlich durch gezieltes Üben beschleunigen. Realistisch ist es, bei gleichem Verständnisniveau eineinhalb bis zweimal schneller zu werden“, so Radach.
Experten unterscheiden zwei Formen des Schnell-Lesens: das kleine und das große Schnell-Lesen. Normalerweise wird das Lese-Tempo durch das innerliche Mitsprechen des Textes limitiert. Ein durchschnittlicher Leser schafft etwa 250 Wörter pro Minute. Beim „kleinen Schnell-Lesen“ trainieren die Leseschüler etappenweise, ihren inneren Mitsprecher zu beschleunigen. Mit einem Training über mehrere Wochen könne man es schaffen, das innere Mitsprechen auf bis zu 600 Wörter pro Minute hochzutrainieren.
Ein gutes Lese-Training zeichnet sich Radach zufolge dadurch aus, dass es eine gute Planung und Nachbereitung vermittelt. Das Lesen solle schrittweise schneller werden und sich statt auf einzelne Wörter mehr und mehr auf ganze Sinneinheiten beziehen. Gleichzeitig sollten zeitraubende Lesegewohnheiten, etwa häufige Rücksprünge, vermieden werden. Mittlerweile könne man auch Apps nutzen, um einen Eindruck vom Schnell-Lesen zu bekommen. Das erfordert aber viel Disziplin und Durchhaltevermögen.
Anders als das „kleine Schnell-Lesen“ verfolgt das „große“ oder „optische Schnell-Lesen“ das Ziel, die Sprachzentren im Kopf nicht zu trainieren, sondern sie zu umgehen. Bei dieser Form des Schnell-Lesens muss der innere Mitsprecher ausgeschaltet, der Sinn des Textes aber dennoch erfasst werden. Flächiges Sehen und eine slalomartige Blickführung sind dafür grundlegend. „Es dauert Monate, bis es klappt, und es funktioniert durchschnittlich nur bei jedem Zweiten, der es versucht“, gibt Peter Rösler zu bedenken.
Manche Menschen beherrschen diese Form des Schnell-Lesens schon von Kindestagen an. Sie werden als „natürliche Schnell-Leser“ bezeichnet. Das ist laut Rösler ungefähr einer aus 500. Wer das optische Lesen beherrscht, könne mehr als 1500 Wörter in der Minute, in manchen Fällen bis zu 6000 Wörter pro Minute, lesen. Als normaler Leser solle man sich lieber realistische Ziele setzen, etwa eine Verdopplung der eigenen Lesegeschwindigkeit.
Egal, ob Speed-Reader oder nicht: Der Lese-Turbo bringt einen im Beruf oder an der Uni nicht automatisch weiter. „Schnell-Leser werden dadurch, dass sie schneller lesen können, ja nicht zu Schnell-Denkern“, sagt Rösler. Einen komplexen Text, etwa für die Uni, wird man daher erstmal im Nachdenktempo lesen müssen. Rekapituliert man das Ganze dann, könne man dagegen im höchsten Tempo lesen, das man beherrscht. „Bei weiteren Lesedurchgängen kann das Schnell-Lesen also definitiv eingesetzt werden“, so der Autor.
Quelle: Anke Dankers, dpa